Die Kraft der unscheinbaren Dinge
Die Urner Dätwyler Gruppe legt in ihrem Jubiläumsbuch eine faszinierende Firmenbiografie vor: Vom verschuldeten Staatsbetrieb zum weltweit erfolgreichen Konzern, der unter anderem jedes zweite Auto ausrüstet, das auf der Welt gebaut wird. Am 26. Februar 2015 wurde das Buch in Altdorf vor 400 Gästen präsentiert.
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Während des Ersten Weltkriegs sanierte der junge Branchenkenner Adolf Dätwyler eine Kabel- und Gummifabrik, welche die Vorgängerin der Urner Kantonalbank mit zu hohen Krediten ausgestattet hatte. Dätwyler wurde ein Spezialist für die Herstellung von Kabeln und von Gummiteilen aller Art für Industrie, Bau und Haushalt. Peter und Max Dätwyler führten das Unternehmen nach dem Tod ihres Vaters 1958 mit viel Geschick weiter und expandierten ins Ausland.
Dass die besondere Biografie des Unternehmens auch eine besondere Verbundenheit mit dem Urkanton am Gotthard begründete, ist eins der Leitthemen in dem Buch, das die Dätwyler Stiftung und das Unternehmen gemeinsam zum hundertjährigen Bestehen im Jahre 2015 herausgeben. Als Verfasser zeichnen der quellensichere Historiker Christoph Zurfluh und der erfahrene Sachbuchautor Karl .html. Beide sind in Uri aufgewachsen und mit den Besonderheiten des Bergkantons vertraut.
Leseprobe
Dätwyler setzte Marken in der Schweizer Industriegeschichte
Auf seiner hundertjährigen Reise durch die Industriewelt hat Dätwyler viele wichtige Marken gesetzt.
- In der Krisenzeit der dreissiger Jahre befähigten die guten Gewinne im Stammgeschäft das Dätwyler-Unternehmen zur Diversifikation. Dätwyler baute in Pratteln mit einer Lizenz die Firestone-Reifenfabrik. Nach 1945 fuhr diese Tochterfirma während fast dreissig Jahren schöne Gewinne ein. Dann wurde sie vorteilhaft an den amerikanischen Konzern zurück verkauft. 1978 hat Firestone ihr Werk in Pratteln geschlossen.
- Die Rohstoff-Not der Kriegsjahre befeuerte den Erfindungsgeist. 1945 gelang Dätwyler die Entwicklung des weltweit ersten mit Kunststoff isolierten Hochspannungskabels.
- Seit den 1980er-Jahren etablierte sich Dätwyler aus bescheidenen Anfängen als Zulieferer der Autoindustrie, insbesondere für Dichtungen in Bremsen
- Heute werden in jedes zweite Auto, das auf dem Erdball hergestellt wird, Dätwyler-Teile eingebaut.
- Auch grosse Dichtungslösungen (Sealing) sind Dätwylers Sache: die mächtigen Gummidichtungen, die tonnenweise bereits in mehr als 450 Tunnel auf allen Kontinenten eingebaut wurden.
- Aus dem bedeutungslosen Nebengeschäft einer in den Niederlanden erworbenen Gummifabrik machte Dätwyler in vierzigjähriger Aufbauarbeit und mit hohen Investitionen die weltweite Nr. 2 in der anspruchsvollen Sparte der Verschlüsse für Behälter flüssiger Medikamente.
- Und seit kurzem verlässt sich auch Nespresso auf das Dichtungs-Know-how von Dätwyler.
Weltweit beschafft erfolgreich gehandelt
Technical Components, sind neben Sealing Solutions das zweite Standbein des Konzerns. Aus einer nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs eher zufällig erworbenen kleinen Handelsfirma namens Gummi Maag (Zürich) hat sich Dätwyler mit einer grossen Zahl von Übernahmen zu einem der drei wichtigsten europäischen Anbieter im hart umkämpften Markt des Handels mit elektronischen Bauteilen aufgeschwungen. 2012 gelang der Schritt in den Grosshandel, und 2013 wurde TECO Asia in Betrieb gesetzt, eine Zentrale für Einkauf und Warenprüfung mit über 50 Spezialisten in Shenzhen, die den vor allem in West- und Zentraleuropa sowie in Skandinavien erfolgreichen Dätwyler-Handelsfirmen den im Handel ausschlaggebenden Vorsprung bezüglich Qualität und Tempo verschafft.
Starke Expansion nach China
Am Anfang der starken Expansion nach China standen Dätwyler Kabel. Das Altdorfer Werk folgte bereits 1998 seinem jahrzehntelangen Grosskunden Schindler und profilierte sich mit der Planung und dem Bau von komplizierten Kabelbäumen. Zugleich haben sich leistungsfähige Dätwyler-Produktionsstandorte ausser in China (über 2000 Mitarbeitende) auch in Nord- und Südamerika und in Indien erfolgreich etabliert. Ins Jubiläumsjahr geht Däwyler mit stolzen Zahlen: Insgesamt über 50 operative Gesellschaften und rund 6500 Mitarbeitende erwirtschaften mit Verkäufen in über 100 Ländern einen Jahresumsatz von rund 1300 Millionen Franken (Zahlen von 2014).
Verzicht ermöglichte ein grosses Werk
1990 entschieden sich Peter und Max Dätwyler für eine Nachfolgeregelung, die in ihrer Art einmalig ist. Der Verwaltungsrat der börsennotierten Holding verfügt seither treuhänderisch über die Stimmenmehrheit am Unternehmen. Damit dies möglich wurde, haben Peter und Max auf wesentliche Vermögenswerte verzichtet. Oberstes Ziel war es, die langfristige Selbstständigkeit des Unternehmens zu sichern. Die ebenfalls 1990 gegründete Dätwyler Stiftung kann im Jubiläumsjahr des Unternehmens ihr 25jähriges Bestehen feiern. Sie richtet jedes Jahr hohe Summen für gemeinnützige Projekte in den Bereichen Kultur, Bildung, Gesundheit, Sport und Umwelt aus. Die Dätwyler Stiftung hat unter anderem das Haus für Musik in Altdorf, Hauptsitz der Urner Musikschule in der ehemaligen Fabrikantenvilla ermöglicht sowie das Haus für Kunst Uri, das zu den profilierten kleineren Kunstmuseen der Schweiz zählt.
So steht der Name Dätwyler nicht nur für intelligente industrielle Lösungen und Leistungen, sondern auch für eine zeitgemässe und unternehmerisch fundierte Verbundenheit mit der Herkunft und dem Ursprungsort und für eine soziale unternehmerische Gesinnung, die ihresgleichen sucht.
Karl .html/Christoph Zurfluh: Die Kraft der unscheinbaren Dinge
100 Jahre Dätwyler
244 Seiten mit ca. 100 Abbildungen
Verlag NZZ Libro, Fr. 48.
ISBN 978-3-03810-031-7
Auch in Englisch erhältlich
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